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Das equine metabolische Syndrom

01. November 2024

Gastbeitrag von Henrike Shert, Vetscreen

Durch meine praktizierende Tätigkeit als Ernährungsberaterin habe ich bereits viele Pferde gesehen, beurteilt, gewogen und sie auf ihrem Weg der Genesung begleitet.

Häufig sehe ich Pferde die leicht bis massiv übergewichtig sind. Mit mehr oder weniger ausgeprägten Fettpolstern, Bewegungsunlust und einem mehr als gesunden Appetit. Die Besitzer sind oft überfordert mit dem Management, denn gerade die gerne im Offenstall gehaltenen Robustrassen, teilen sich oft ihr Zuhause mit einem schwerfuttrigen Freund der laut Besitzer 24 Stunden Heu zur Verfügung haben soll.

Ein Teufelskreis, den man ohne Anstrengung nicht durchbrechen kann. Jedoch sollte es dem Besitzer jede Anstrengung wert sein, das Leben des Pferdes zu verbessern, auch wenn ihm die nötigen Haltungs- und Fütterungsbedingungen auf den ersten Blick nicht tiergerecht erscheinen.

In diesem Blog erfahrt ihr alles über EMS. Die Entstehung, Palpationsverfahren, die Diagnostik mittels unserem neuen EMS-Screen und das Fütterungs- und Haltungsmanagement.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

Klinisches Erscheinungsbild

Das equine metabolische Syndrom des Pferdes entsteht schleichend. Eine ständige Überversorgung mit Nahrung, gepaart mit Bewegungs- und Arbeitsmangel, führt zu einem Krankheitsbild, welches im Humanbereich schon länger bekannt ist.

EMS beim Pferd ist eine Stoffwechselstörung, die durch Übergewicht und Insulinresistenz gekennzeichnet ist. Das Erscheinungsbild ist geprägt von lokaler Adipositas, welche sich am Mähnenkamm, an der Kruppe, der Schulter und der Euter- und Schlauchregion zeigt. Betroffen sind meist mittelalte bis alte Pferde (5 - 15 Jahre alt), der überwiegend leichtfuttrigen Rassen wie Fjordpferde, Araber, Haflinger, PRE und weitere Barockpferderassen.

Der Mähnenkamm wirkt aufgesetzt. Die Einlagerung beginnt etwa eine Handbreit hinter dem Genick und endet etwa eine Handbreit vor dem Widerrist (sog. Cresty Neck). Der Schweifansatz ist eingebettet in Fettdepots, welche das Hinterteil herzförmig aussehen lassen. Am Unterbauch vor den Geschlechtsorganen, Euter und dem Präputium sind ebenfalls Fettdepots zu erkennen. Am Rücken können sich massive Einlagerungen bilden. Sie wirken wie eine Decke und können in der Unterhaut mehrere Zentimeter dick werden.

Neben einer verminderten Fertilität, einem hohen Triglycerid-Serumspiegel, gehören auch rezidivierende Koliken, welche durch lipoma pendulans ausgelöst werden, zu typischen Symptomen des EMS.

Nicht alle Pferde mit equinem metabolischen Syndrom müssen adipös sein. Es gibt durchaus untergewichtige und normalgewichtige Pferde mit den EMS typischen Fettdepots, welche laut Studien besonders gefährdet sind eine Hufrehe zu entwickeln.

Abb.1: typische Fettpolster bei EMS ( Urheberrecht Henrike Scherf)

Abb. 2: dünnes Pferd mit Hufrehe ( Urheberrecht Henrike Scherf)

Ermittlung des Fettanteils mittels Palpation an Hals und Körper

Die Beurteilung des Pferdes erfolgt zum einen durch:

Body Condition Score (BCS)

nach Carrol und Huntigton (1988), oder dem hierzulande verbreiteten 9 Punkte Body Condition Score nach Schramme und Kienzle (2004). Beim BCS werden bestimmte Körperregionen mittels Palpation bewertet und über einen Bewertungsschlüssel der Ernährungszustand bzw. die Körperfülle des Pferdes ermittelt.

Cresty Neck Score (CNS)

nach Carter (2009). Beim CNS werden die Art und die Anordnung der Fettdepots entlang des Mähnenkamms bestimmt. Im Gegensatz zum BCS ist der CrestyNeckScore wesentlich aussagekräftiger über das Vorhandensein von EMS und einer Insulindysregulation. Die Einteilung erfolgt in Scores von 0-5. Ein CNS von 2 wird als normal bewertet. Bei höheren Einstufungen steigt die Gefahr einer Insulindysfunktion.

Entstehung des EMS

Aktuelle Untersuchungen zur Entstehung des equinen metabolischen Syndroms beschäftigen sich mit der Genetik. Man stellte in Versuchen fest, dass neben einer permanenten Überversorgung auch  genetische Faktoren an der Entstehung von EMS beteiligt sind (Norton 2019).


Einer der Hauptauslöser des EMS ist eine zu hohe Aufnahme an Glukose. Glukose wirkt in zu hohen Mengen toxisch auf die ß-Zellen. Es bilden sich durch die Glykosylierung von Zellproteinen freie Radikale, welche durch Oxidation Schäden in den Zellen verursacht. Die durch den Glukoseüberschuss entstanden freien Radikale stören den Entwicklungszyklus der Zellen und fördern den Zelltod der insulinproduzierenden Zellen des Pankreas. Eine solche Funktionseinschränkung der ß-Zellen hat eine Insulindysfunktion zur Folge.
 
Die während der Glykosylierung entstandenen freien Radikale aktivieren proinflammatorische Cytokine und Prostaglandine, welche Auslöser für Entzündungsreaktionen wie zum Beispiel Hufrehe sind.

In den hormonell aktiven Zellen des Fettgewebes, den Adipozyten, wird inaktives Cortisol in aktives Cortisol umgewandelt, welches die EMS typischen Fettdepots vermutlich sehr rasch wachsen lässt. Durch dieses schnelle Wachstum wird massenhaft Leptin aus den Fettzellen in das Blut abgegeben, wodurch eine Leptinresistenz entsteht. Leptin ist ein Stresshormon aus der Nebennierenrinde und steuert das Sättigungsgefühl des Pferdes. Fehlt das Sättigungsgefühl aufgrund der Leptinresistenz wachsen die Fettdepots weiter.

Es entsteht ein fortlaufender autonomer Prozess, welcher vom Fettgewebe ausgeht und eine kontinuierliche inflammatorische Stoffwechsellage darstellt.

Labordiagnostik und Probenentnahme

Leider zeichnet sich in den letzten Jahren eine Zunahme an Fällen von Adipositas und Hufrehe beim Pferd ab. Um auf endokrine Stoffwechselproblematiken gezielter und schneller eingehen zu können bieten wir Euch das EMS- Screen für Eure Kunden an.


Nach der Verdachtsdiagnose aufgrund von Vorberichten und Symptomen kann eine Bestimmung einzelner wichtiger Blutparameter einen Befund zum Vorhandensein einer Insulinresistenz liefern.
 
Das neue EMS- Screen umfasst neben Nüchtern-Insulin und Glukose auch weitere klinisch – chemische Parameter, wie RISQI, I/G-Quotient und MIRG. Diese Werte stellen ein Maß für die Insulin- Sensitivität dar und geben Aufschluss über die Funktionstüchtigkeit der pankreatischen ß-Zellen. Als Probenmaterial benötigen wir hämolysefreies Serum und Natrium-Flourid-Blut.

Um bei einer einmaligen Bestimmung des Insulin- und Glukose-Basalwertes aussagekräftige Werte zu erhalten, sollten nach Möglichkeit alle Standardbedingungen für die Abnahme des Blutes, bzw. die Vorbereitung des Patienten eingehalten werden, die da wären:

  • Zucker- und fruktanarmes Heu vom späten 1. Schnitt, in kleinen Portionen ( bis 1,5 kg/100 kg Körpergewicht für 24 h), ggf. mit Stroh mischen und für 10 - 30 Minuten einweichen und direkt füttern. (Merke: Gewässertes Heu sollte innerhalb von 3 – 4 Stunden gefressen sein, um Dysbiosen zu vermeiden).

  • 2 Stunden vor Blutentnahme komplette Futterkarenz

  • Entnahme der Probe möglichst morgens

  • Pferd vorher nicht bewegen

  • 4 Stunden vor Blutentnahme kein Kraftfutter

Durch die genannten Fütterungstechniken steigt der Insulinwert im Blut nicht stark an und die Auswertbarkeit des Blutbildes wird erleichtert.

Therapie

Ein spezielles Medikament für diese besondere Stoffwechsellage gibt es aktuell nicht. Die Therapie setzt sich aus artgerechter, bedarfsangepasster Ernährung und entsprechender Bewegung zusammen.

Am Anfang steht die genau Anamnese. Das Ist,- und das Sollgewicht muss gelegt werden. Mit Hilfe des Mehrgewichtes kann neben dem BCS und CNS das Pferd in dick, massiv adipös oder morbide adipös eingestuft werden. So sind Pferde welche 15 – 25% über dem Normgewicht liegen hochgradig adipös (TWI, Orientierungsdaten des Pferdegewichtes) und sollten schnellstmöglich therapeutische Unterstützung unterhalten.
 
Neben den Daten zum Pferd sollten auch die Grundfuttermittel labortechnische untersucht werden, um eine kontrollierte Reduktionsdiät einzuleiten. Dies kann über die Lufa Nord-West oder die Raiffeisen GmbH erfolgen. Die Reduktion des Gewichtes sollte durch ein auf das Pferd angepasstes Bewegungsprogramm erfolgen und als Ziel eine Abnahme des Körpergewichts von circa 0,5 – 1% pro Woche führen, bei ein Body Condition Score von 5 und Normalgewicht erreicht ist. Gewichtsabnahmen über 1% in der Woche können zu einer Hypertriglyzeridämie führen.
 
Die Ration eines Pferdes mit EMS muss stärke,- und zuckerarm gestalten werden. So sind Heuchargen und Futtermittel unter 10% Gesamtzucker und unter 5% Fruktan zu wählen und diese restriktiv anzubieten. Futterpausen über 3 bis 4 Stunden sollten vermieden werden. Das Einmischen von Stroh, sowie das Einweichen und das Bedampfen des Heus senkt den Zuckergehalt der Gesamtration.

Abb. 3: Pferd auf Waage (Urheberrecht Henrike Scherf)

Die Fütterung von Heulage ist für Pferde mit EMS nicht empfohlen, da es bei Heulagefütterung zu einer höheren Insulinantwort kommt als bei der Fütterung von Heu.

Mineralstoffe, Vitamine und Antioxidantien sollten bedarfsdeckend gefüttert werden. Vitamin E wirkt dem oxidativen Stress entgegen und Zusätze wie Cystein, Mangan und Biotin können die Insulinsensitivität der Zellen erhöhen. Bei den Mineralien Zink, Selen und Kupfer zeigt sich im Blutbild häufig ein Mangel, der durch ein geeignetes Mineralfutter ausgeglichen werden sollte.
 

Proteine sollten während einer Reduktionsdiät entsprechend ausgeglichen werden, damit nicht die bestehende Muskulatur nicht abgebaut wird. Gerade bei Stroh-Heurationen, bedampftem oder überständigem Heu sollte die tatsächliche Aminosäureaufnahme überprüft werden und dem Bedarf angepasst ausgeglichen werden. Eine sehr gute Möglichkeit Aminosäuren zu ergänzen bietet die Alge Spirulina platensis. Neben wertvollen Aminosäuren liefert sie Mineral,- und Vitalstoffe, stellt pflanzliche Cyane bereit, welche antioxidativ wirken und beeinflussen die Insulinsensitivität positiv.

Pferde mit einer Insulinresistenz sollten nicht auf die Weide. Hier reichen kurze Weidezeiten unter einer Stunde aus um eine Hufrehe auszulösen. Ein zeitlich begrenzter Weidegang wird bei diesen Pferden erst nach der Normalisierung des Blutzuckerspiegels und des Körpergewichtes möglich sein.

Eine Normalisierung des Körpergewichtes kann nur durch die Steigerung des täglichen Bewegungsprogramms erreicht werden. Neue Bewegungsanreize in der Haltung und ein Überdenken und Anpassen des täglichen Trainings sind zielführend. Da der Bewegungsapparat meistens durch das Übergewicht vorbelastet ist muss das Training schonend und durchdacht aufgebaut sein.

Für den Anfang sind lange Schrittausritte mit einer Dauer von 1,5 – 2 Stunden sinnvoll um die Grundkondition aufzubauen und um die Pfunde allmählich purzeln zu lassen. Haben die Pferde nur ein leichtes Übergewicht, beziehungsweise Normalgewicht mit den entsprechend Fetteinlagerungen und einer diagnostizierten Insulinresistenz, kann die Arbeit forcierter ablaufen. Diese Pferde sollten ca. 5 x Woche für mindestens 30 Minuten im Trab und Galopp mit einer Herzfrequenz von 130 bis 170 Minuten bewegt werden (Durham et. Al 2019).

EMS-Screen

Material: gekühltes Serum und NaFl
Dauer: 1 Tag
Parameter: Insulin, Glucose, Insulin / Glucose Verhältnis, RISQUI = (Reciprocal Inverse Square of Insulin) und MIRG =(Modified Insulin to Glucose Ratio (MIRG)-"ß-Zellfunktion (Pankreas)"

Hiermit bedanken wir uns für die Recherchearbeiten und Bilder von Henrike Sherf, welche sich mit diesem Thema eingehend beschäftigt und diesen Artikel als Autorin für Vetscreen verfasst hat. Als ausgebildete und leidenschaftliche Pferdefrau könnt Ihr sie immer Freitagsnachmittag von 13.00 - 17.00 Uhr telefonisch zu allen Themen rund ums Pferd bei der Firma Vetscreen erreichen.